Interview mit dem Hanauer-Boten „Hoffentlich war es kein Moslem“

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„Hoffentlich war es kein Moslem“

 Was der islamistische Terror mit Muslimen in Deutschland macht: Jaoid Darsane und Khurrem Akhtar vom Islamischen Informations- und Begegnungszentrum im Gespräch  

Hanau. Als am 29. Oktober die ersten Nachrichtensender berichten, dass ein zu diesem Zeitpunkt noch Unbekannter in der Basilika Notre-Dame in Nizza drei Menschen auf bestialische Art getötet hat, schaut auch Khurrem Akhtar immer wieder auf sein Handy. Bestürzt, erschrocken. Und besorgt. „Bitte, lass den Täter keinen Moslem sein“, hofft er im Stillen. Vergeblich. Bald darauf wird er in seiner Funktion als Pressebeauftragter des Islamischen Informations- und Begegnungszentrums (IIB), einer kleinen Hanauer Moscheegemeinde, eine Pressemitteilung in seinen Rechner tippen, sein aufrichtiges Bedauern über den schrecklichen Terroranschlag zum Ausdruck bringen und diese wie alle anderen islamistischen Anschläge auch entschieden verurteilen. Aus Überzeugung. Doch zugleich wird er sich die Frage stellen, warum er sich eigentlich von etwas distanzieren muss, mit dem er sich niemals verbunden gefühlt hat. Der islamistische Terrorismus hat in diesem Herbst die europäische Gesellschaft erneut schwer erschüttert und trifft nicht zuletzt auch jene hart, im Namen deren Religion die Attentäter zu handeln behaupten — wie Khurrem Akhtar und Jaoid Darsane vom Vorstand des IIB. Ein Gespräch über Rechtfertigungsdruck, Verantwortung und Weihnachtsmärkte.

Erst Dresden, Paris, dann Nizza. Und Wien. Dieser Herbst ist ein düsterer. Und er weckt nicht weniger düstere Erinnerungen. An das Attentat von Paris, das sich gerade zum fünften Mal jährte. An Berlin vor beinahe vier Jahren. Und an diese Angst, einem Terror hilflos ausgeliefert zu sein, der ein simples Küchenmesser oder ein Auto zu einer tödlichen Waffe machen kann. Auch Khurrem Akhtar und Jaoid Darsane fürchten ihn, und das vor allem deshalb, weil jener Terror etwas mit der Gesellschaft macht, sie zerreißt, spaltet, Menschen gegeneinander aufbringt.

Dass sich das IIB überhaupt via Pressemeldung zu den Vorfällen geäußert hat, war zuvor intern intensiv diskutiert worden. Muss man öffentlich aussprechen, was eigentlich selbstverständlich ist, dass man barbarische Taten wie jene verurteilt? Oder darf man sich zurückziehen und sich darauf berufen, dass jene Täter die eigene Religion missbrauchen und all das mit dem Islam nichts zu tun hat? Khurrem Akhtar spricht von einer Art Zugzwang, dem er sich als gläubiger Moslem nach solchen Taten ausgesetzt sieht. „Ermüdend“ nennt er jenen immer wiederkehrenden Rechtfertigungsdruck, wohl wissend, dass den längst nicht jeder seiner Glaubensbrüder spürt, viele sich bewusst nicht rechtfertigen wollen, für etwas, für das sie keine Schuld empfinden. „Aber unserer Gemeinde geht es ja gerade um Öffentlichkeitsarbeit, um den Dialog, da müssen wir uns positionieren — gerade, weil wir sehen, dass viele einfach nicht differenzieren zwischen islamisch und islamistisch“, erklärt Jaoid Darsane die Motivation.

Natürlich waren die jüngsten Attentate Anlass für viele Gespräche in der Gemeinde. „Das ist etwas, was die Menschen ganz stark umtreibt“, sagt Darsane, und schließt sich selbst dabei mit ein. Neben der Bestürzung über die Tat selbst spricht er von einer großen Verunsicherung bei Menschen muslimischen Glaubens, manche fragten sich sogar, ob ihre Zukunft überhaupt noch hier in Deutschland liege — selbst, wenn sie hier geboren wurden. Denn das die Einstellung ihnen gegenüber von solchen Taten beeinflusst wird, spüren viele am eigenen Leib. Eine Art Generalverdacht, der wie ein Damoklesschwert über der Glaubensgemeinschaft schwebt — und mit jeder islamistischen Terrortat neues Futter bekommt.

Die persönlichen Anfeindungen, erzählt der 43-Jährige, werden mehr, gerade in den letzten fünf Jahren — und zu spüren bekommen sie vor allem die Frauen, die ein Kopftuch tragen. Auch seine. So wie jüngst in der S-Bahn, als eine fremde Frau ihr völlig unvermittelt an den Kopf warf, dass ihr Anblick sie depressiv mache. „Das tut mir einfach weh, wenn ich sowas höre“, sagt Darsane und kann eine Vielzahl ähnlicher Beispiele aufzählen — aus seiner Familie, aus seiner Gemeinde. Manche Frauen, sagt er, haben inzwischen ihr Kopftuch abgelegt, weil der Druck einfach zu groß wurde, obwohl sie es aus Überzeugung getragen haben. Er spricht von einem Gefühl der Ausgrenzung, obwohl das hier seine Heimat ist — und die seiner Familie. „Ich frage mich manchmal, woher dieser ganze Hass kommt“.

Khurrem Akhtar sieht einen Grund dafür auch in einer überwiegend sehr einseitigen Berichterstattung über Muslime. „Wenn ich mir als Deutscher ein Bild vom Reichstag mit Minaretten anschaue, dann finde ich das auch bedrohlich“, sagt Akhtar mit Blick auf ein Cover des Magazins „Der Spiegel“. In Talkshows sei es zumeist eine bestimmte Klientel, das eingeladen werde, dessen Ansichten oftmals fragwürdig seien, aber entsprechend Gehör fänden. Auch den Begriff „islamistisch“ empfindet er deshalb schon als problembehaftet, weil darin immer der Islam mittransportiert wird — und das, ist Akhtar überzeugt, setzt sich in vielen Köpfen fest. „Warum nennt man es nicht einfach Terrorismus?“

Dennoch verneinen beide nicht eine Verantwortung der muslimischen Gemeinden, entschieden gegen extremistisches Gedankengut einzutreten und Menschen, die solches verbreiten wollen, keine Bühne zu geben. „Da wurde und wird zu oft einfach weggeschaut, und das kann nicht der richtige Weg sein“, kritisiert Jaoid Darsane. Oft scheuten manche alteingesessenen Gemeinden in Deutschland den offenen Dialog, müssten insgesamt transparenter werden, mehr Öffentlichkeitsarbeit machen.

Das Islamische Informations- und Begegnungszentrum gibt es seit 2008, seit 2013 als eingetragenen Verein und seit anderthalb Jahren mit Domizil in der Bruchköbeler Landstraße. Die oberen Räume dort bieten Platz für das, was das IIB als sein Hauptanliegen sieht, Veranstaltungen in den Bereichen Bildung und Soziales, unten liegt ein Gebetsraum. Hier wird das Freitagsgebet in deutscher Sprache abgehalten, was sich allein durch die unterschiedliche Herkunft der Gläubigen erklärt, die aus aller Herren Länder kommen, zugleich aber eine ganz bewusste Entscheidung ist, wie Jaoid Darsane betont. So setzt sich der Vorstand des Vereins zum Beispiel aus marokkanisch, pakistanisch oder ungarischen Migrationshintergründen zusammen. „Ich gehöre zur zweiten Einwanderergeneration und tue mich schon schwer mit der Sprache, mein Sohn spricht nur noch Deutsch — solche Gemeinden wie unsere werden Zukunft haben, da bin ich ganz sicher“, sagt er und bezieht das auch auf die vielen weiteren Angebote, die die Gemeinde ihren Mitgliedern macht: „Wir verstehen eine Moschee als eine Einrichtung, die die gesamte Bevölkerung widerspiegelt — Männer, Frauen und Kinder.“ Für alle, sagt auch Khurrem Akhtar, wolle man Anlaufpunkt sein. Es gibt eine Frauengruppe, deutschen Islamunterricht, den eine an der Frankfurter Goethe Universität ausgebildete Islamwissenschaftlerin leitet, Kinderkinos, Moscheeübernachtungen und kindgerechte Freitagspredigten. In naher Zukunft soll dem Nachwuchs ein Tonstudio zur Verfügung stehen. „Ich weiß noch, wie es war, als mein Vater mich die ersten Male in die Moschee mitgeschleppt hat – da hab’ ich einfach versucht, irgendwie die Zeit totzuschlagen“, erinnert sich der 43-Jährige, und genau das will er hier, in „seiner“ Gemeinde, anders gestalten. Denn schon hier, weiß er, wird der Grundstein gelegt für fundierte religiöse Bildung und damit gewissermaßen der Gegenentwurf zu dem, aus dem sich extremistisches Gedankengut oftmals entwickelt: Unwissenheit. „Genau das ist ja oft der Kern des Problems, dass gerade junge Menschen auf YouTube irgendwelchen Menschenfängern zuhören und ihren radikalen Thesen Glauben schenken“, sagt er. Insofern ist Bildung seiner Ansicht nach einer wichtigen Säule der Extremismus Prävention. Daneben aber will die Gemeinde gerade junge Menschen auch emotional abholen, wie Jaoid Darsane betont. „Das haben wir besonders nach dem Anschlag vom 19. Februar ganz stark gemerkt, als viele Jugendliche nicht wussten wohin mit ihrer Trauer, mit ihrem Schmerz, mit ihrer Wut.“ Damals waren immer wieder Imame in einer Art Streetworker Funktion unterwegs, und einmal mehr wurde ein Problem offensichtlich, das schon seit langem bekannt ist: Es brauche bessere soziale Strukturen, so Darsane, mehr kultur- und religionssensible Angebote, Sozialpädagogen, die die Jugendlichen abholen und auffangen können. „Wir müssen den Jugendlichen auch eine Alternative bieten, dürfen sie nicht sich selbst und dem Netz überlassen“, fordert er und sieht das auch als eine Frage der Organisation innerhalb der Moscheevereine: „Wir bräuchten keine sieben Moscheen in Hanau, fünf würden reichen. Dann hätten wir noch ein Jugendhaus und ein Familienzentrum — das würde viel mehr bringen.“ Khurrem Akhtar sieht hier eher den Staat in der Pflicht — weil es den Gemeinden schlicht an Ressourcen fehle für Aufgaben wie diese. „Wir arbeiten alle ehrenamtlich und müssen jeden Monat nachdenken, wie wir die Miete stemmen — da ist einfach zu wenig da, das wir umverteilen können.“ Knackpunkt ist für ihn dabei die Tatsache, dass islamische Religionsgemeinschaften nicht als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt sind und ihnen somit auch der Zugang zu möglichen Fördertöpfen von Bund und Land verwehrt bleibt.

Das wiederum nimmt letztendlich auch den Boden für die Entwicklung dessen, was Khurrem Akhtar einen „deutschen Islam“ nennt — einen also, der sich durch die in Deutschland lebenden Muslime entwickelt. Das jedoch kann er schlicht nicht, wenn in den Moscheen importierte Imame predigen, denen die hiesige Lebenswirklichkeit völlig fremd ist. „Die verstehen mein Leben gar nicht, die Probleme, die ich habe oder mein Familienkonzept, weil sie aus einem völlig anderen sozialen Umfeld kommen“, sagt er. Entsprechend spielt der historische Kontext eine entscheidende Rolle — und der ist im Fall von Darsane und Khurrem im Deutschland des 21. Jahrhunderts und nicht vor 1400 Jahren in Medina. „Der Islam bietet ja eine gewisse Flexibilität, die es den Gläubigen möglich macht, unter den Umständen, die hier und jetzt herrschen, ihren Glauben zu leben — ohne mit der Gesellschaft und deren Normen in Konflikt zu geraten“, erläutert Darsane und definiert eben das als Problem bei Salafisten wie Pierre Vogel: „Die holen ihr Verständnis aus Saudi-Arabien und wollen das hier implementieren — aber das geht nicht, das passt einfach nicht.“

Was hingegen schon geht, ist beispielsweise, als Moslem einen Weihnachtsmarkt zu besuchen. „Ich mag das, und meine Frau ist wirklich traurig, dass er in diesem Jahr ausfällt“, sagt Khurrem Akhtar. Ein Moslem aber, der den Wunsch geäußert habe, dass der „Weihnachtsmarkt“ lieber „Wintermarkt“ genannt werden sollte, ist ihm hingegen noch nie begegnet — und Akhtar selbst nennt jene angeblich von muslimischer Seite formulierte Forderung „völlig absurd“.

Letztlich ist der Keil in der Gesellschaft genau das, angesichts dessen sich sowohl Islamisten als auch Rechtspopulisten die Hände reiben — und der zugleich beiden Lagern die Menschen in die Arme treibt. Und überhaupt sind sich beide Extreme ähnlicher, als man glauben mag: Beide schüren nach Kräften Ressentiments gegen die Lebenswelt des Feindes, inszenieren sich jeweils als Opfer, das der anderen Seite ausgeliefert zu werden droht, beide fördern nach Kräften einen Prozess, in dem in der öffentlichen Wahrnehmung die Begriffe Islam und Islamismus mehr und mehr zu einem verwachsen wodurch eine Dynamik entsteht, die einen Prozess der Entfremdung permanent befeuert. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.

Was im Alltag bleibt, ist der Dialog, und mehr noch, die Entwicklung einer lebendigen Debattenkultur. Auch aus rein theologischer Sicht, sagt Khurrem Akhtar, sei eine Vielfalt von Meinungen, ein Diskurs durchaus gewünscht. Auch die beiden Familienväter sind während des Gesprächs nicht immer einer Meinung, argumentieren jeder für sich, zeigen unterschiedliche Sichtweisen. „Wir können diskutieren, debattieren, uns streiten“, sagt Khurrem Akhtar. „Aber am Ende des Tages stehen wir beim Gebet Seite an Seite.“